Die Zusammengehörigkeit/ Verbundenheit, der eigene Weg, der Stolz und die Sturheit

Drei Filme mit einem Thema haben wir in den letzten Wochen im Passagekino in Leipzig gesehen: 1. „Acht Berge“ über zwei Jungen, die ihre Freundschaft nicht über das volle Erwachsenenleben retten konnten. Einer bleibt im alpinen Hochgebirge zurück und kommt dabei um, als er den Winter allein in seiner Hütte verbringen wollte. Zuvor war er beruflich und mit seiner Familie gescheitert.

2. „Eng beieinander“ über zwei Jungen, deren Beziehung schon am Anfang ihrer Jugend scheitert. Einer von beiden nimmt sich das Leben. Sein Freund hat lange daran zu knabbern und wird vermutlich nie im Leben darüber hinwegkommen. Pardon, ich vergaß, ich habe den Film ja in einem deutschen Kino gesehen, da hat er natürlich einen englischen Titel: „Close“. Obwohl: Das soll vielleicht auch noch auf eine „geschlossene“, ausweglose Situation hinweisen.

Und 3. schließlich „The Banshees of Inisherin“, die „Todesfeen“ auf einer irischen Phantasieinsel. Auch in diesem Film geht um das Scheitern einer tiefen Freundschaft zwischen zwei männlichen Menschen, allerdings 1. nicht mit ihrer Kindheit beginnend, sondern in ihrem fortgeschrittenen Alter und 2. ist dieses Scheitern im Gegensatz zu den anderen Filmen nicht tödlich endgültig, sondern schließt ein vorsichtiges Wiederaufflackern der Freundschaft ein.

Der eine ältere Mann hat noch eine weitere Liebe zu seiner Schwester und seinen Tieren, insbesondere zu einer Eselin. Der andere hat eine starke Liebe zur Musik, zum Komponieren und Geigespielen. Sie ist auch der Grund, warum er mit seinem Freund nicht mehr sprechen will.

Nebenbei: Es gibt ja keinen deutschen Film mehr, sowohl Kino- als auch Fernsehfilm, in dem englischsprachige Musik nicht die Handlung untermalt. Hier war es sozusagen umgedreht: „Brahms [tieftraurige] Gesänge“ waren an mehreren Stellen dem dramatischen Filmgeschehen unterlegt.

Alle drei Filme haben uns berührt. (Im Gegensatz zum „Geschmack der kleinen Dinge“, ein Film, der für uns irgendwie künstlich um die Prominenz des übergewichtigen Hauptdarstellers herum inszeniert war.) Alle drei zeigen, wie tief das menschliche Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit und Verbundenheit ist, und zwar unabhängig von jeder sexuellen Komponente. Und sie zeigen, wie tödlich das Leben wird, wenn der eigene Sinn, der ja auch sein muss, dazu führt, dass sich der eine vom anderen auf eine Weise „emanzipiert“, die zur Trennung führt. Verletzter Stolz ist die Folge. Noch wäre alles zu retten, aber wie komisch stur sind wir Menschen, wenn es um unseren Stolz geht.

Bei „Eng beieinander“ kommen zwei Jungen, Busenfreunde bisher, die alles miteinander machten, oft beim anderen in einem Bett übernachteten, wohl nach der 6. Klassenstufe in eine weiterführende Schule. Auch hier sitzen sie natürlich zusammen. Die Zeit der Unschuld ist aber vorbei. Ein vorwitziges Mädchen fragt, nicht einmal aus Bosheit, sondern einfach aus Neugier, ob sie „ein Paar“ wären, weil sie immer so nahe beieinander sind. Die beiden Jungen sind verstört, sie ahnen, dass diese Frage an ihre Existenz geht. Sie verneinen sie klar und deutlich, sogar ein wenig empört, sie seien einfach nur gute Freunde.

Aber die Sexualisierung, einmal begonnen, wie sie überall in unserer modernen Gesellschaft vorangetrieben wird, allein schon durch die ewige Genderei, entfaltet ihren zerstörerischen Gang. Der blonde, sportlichere und robustere Junge zieht sich mehr und mehr vom sensiblen, musisch begabten dunkelhaarigen zurück: Er holt ihn nicht mehr an der Wegkreuzung ab, wo sie sich jahrelang trafen. „Warum hast du nicht gewartet?“ Billige Ausreden sind die Antwort: „Ich war schon früh wach“.

Der Sportliche lässt sich von einem anderen robusten Jungen der Klasse überzeugen, in eine Eishockey-Mannschaft einzutreten. Der andere besucht ihn beim Training: „Vielleicht wäre das auch was für mich?“ Die Antwort ist nicht einmal ein „Nein“ mit einer Begründung in der Art: „Das ist nichts für dich, du bist zu sensibel dazu. Bleib‘ du bei deiner Musik, aber ich höre dir wieder öfter zu“, sondern sie kommt gar nicht. Er würdigt seinen Freund, der vor kurzem noch sein Busenfreund war, nicht einmal einer begründeten Ablehnung. Er schweigt zu seiner Frage, obwohl diese ganz deutlich auf Annäherung ausgerichtet ist, auf die Heilung des entstandenen Risses.

Das ist, glaube ich, die schlimmste Art, einen Menschen vor den Kopf zu stoßen, nachdem dieser über seinen eigenen Schatten gesprungen ist und sich bemüht, auf den anderen, der ihm wichtig ist, zuzugehen. Das Schlimmste ist dann, diesen Annäherungsversuch einfach zu ignorieren. Diese Sturheit wird zur gesteigerten Sturheit beim anderen: Dann eben nicht. Wenn du mir nicht ermöglichst, wieder in unsere Freundschaft „einzusteigen“, dann gehe ich eben ganz. Wenn schon, denn schon, dann aber richtig. Dann steige ich ganz aus dem Leben aus und du hast schuld. Tragisch. Denn dieser Junge war ja geborgen in anderen Lieben, in der Liebe seiner Eltern. Das hat ihn nicht gerettet, so verletzt war er, so zurückgestoßen fühlte er sich.

Ähnlich stur und gewalttätig war der Gang des Missverstehens und Scheiterns in den anderen beiden Filmen. Auf der irischen Phantasieinsel – übrigens auch mit klassischer deutschsprachiger Musik unterlegt (die haben offenbar den Schuss der modernen Zeit nicht gehört, dass alles Englisch sein muss) – will einer der beiden älteren Busenfreunde endlich etwas Bleibendes schaffen und seine Zeit nicht mehr mit sinnlosem „Gequatsche“ mit seinem Freund vergeuden.

Auch dieser ist wie vor den Kopf gestoßen und kann das weder fassen noch verstehen. Der andere bleibt stur und wendet seine aggressive Wut über seine angeblich verplemperte Lebenszeit gegen sich selbst: Er droht, sich jedes Mal einen Finger abzuschneiden, wenn der andere ihn anspricht, und er tut es tatsächlich. Irr und wirr, wie wir Menschen sind, denn er beraubt sich dabei selbst der Möglichkeit, die von ihm komponierten Lieder auf der Geige auch selbst zu spielen.

Der irre Wutwahn ist stärker als der Selbsterhaltungstrieb. Wenn wir Menschen so ticken, sehe ich bezüglich des Ukrainekrieges schwarz. Putin fühlt sich auch vor den Kopf gestoßen. Das ukrainische „Brudervolk“ hat sich von ihm abgewendet. Der „Westen“ verspricht ihm ein freies und gutes Leben obendrein. Da kann Russland nicht mithalten. Was für eine Demütigung, nun plötzlich ausgebootet zu sein, nachdem beide Völker jahrhundertelang verbunden waren! Sie waren zwar nicht nur in Freundschaft, sondern auch im Hass aneinander gebunden. Letzteres wird klar, wenn ich an den von Stalin veranlassten Holodomor denke. Aber trotzdem: Sie waren über die Jahrhunderte „Brüdervölker“, bezeichneten sich bis vor kurzem auf beiden Seiten selbst noch so.

Jetzt will der „freie Westen“ der neue „Bruder“ sein. Die Russen werden dargestellt als Kriegsverbrecher allerschlimmster Sorte. Dabei waren die US-Amerikaner in ihrer Geschichte nicht besser. Wenn es ein Tribunal gegen Kriegsverbrechen geben soll, dann aber bitte gegen alle Großmächte, die glauben, ihren Stolz auf dem Rücken kleinerer Länder befriedigen und ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen zu können.

Die „Helden der freien Welt“ sind absolut gnadenlos, wenn es darum geht, jeden einzelnen „unserer Boys“ zu rächen, dem auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Von völlig unverhältnismäßiger, maßlos überschießender Notwehr können die Japaner und Deutschen des Jahres 1945 ein Lied singen, kurz darauf die Koreaner und Vietnamesen, später die Iraker und andere Araber. Nach den Japanern und Deutschen war es nicht Notwehr, sondern handelte es sich um völkerrechtswidrige Angriffskriege. Wenn ich allein lese, wie sich Teile der US-Armee in Vietnam aufgeführt hatten, verliere ich den Glauben an die Menschheit.

Setzt sich das „freiwestliche“ Frieden-Schaffen mit immer mehr Waffen weiter so fort, wird es schnell gehen mit dem Ende in Europa. Die USA werden weiter an ihrem Raketenabwehr-Schutzschirm arbeiten. Deutschland ist dank der Vasallenpolitik ihrer tonangebenden Politiker schutz- und hilflos.

2 Kommentare zu “Die Zusammengehörigkeit/ Verbundenheit, der eigene Weg, der Stolz und die Sturheit”

  1. Marlen sagt:

    Lieber Karl,

    dein Spagat von den Filmen zum Krieg ist m.E. ziemlich gewagt, aufgrund deiner Erklärung konnte ich jedoch alles logisch nachvollziehen. Mir sind nach der Verinnerlichung aller drei Filme noch ein paar ganz andere Gedanken gekommen, da ich sie subjektiv ja auch ganz anders als du erlebt und verarbeitet habe. Meine Erkenntnis daraus lautet: „Loslassen – immer wieder loslassen.“

    Für mich die höchste Lebenskunst, die man so zeitig wie möglich lernen sollte. Sie schützt vor tiefen Lebenskrisen, aber man muss sie sich mühevoll aneignen, einüben, immer und immer wieder neu. Und dabei stirbt man so manchen kleinen Tod. Nach vielen intensiv gelebten Jahren mit Liebe, Freundschaft und Beziehung weiß ich, wovon ich schreibe.

    Die wichtigste Erkenntnis ist, mich niemals so weit fallen zu lassen oder aufzugeben, dass ich ohne den anderen keinen Sinn mehr im Leben finde. Doch es ist niemand für mich und mein Lebensglück verantwortlich, die Eltern nicht, nicht der Partner, nicht die Kinder, beste Freunde auch nicht.

    Wenn ich mich selbst nicht stärke, werde ich immer an einer Trennung zerbrechen. Nach 50 Jahren guter Ehepartnerschaft ist mir das ganz besonders bewusst geworden. Bei den Söhnen galt: Was du liebst, lass los – gehört es zu dir, kommt es zurück für immer. Das Abnabeln war schmerzhafter als ihre Geburt, oft war ich tief verzweifelt. Verwitwet und dann auch noch ohne Söhne.

    Letztendlich bin ich wieder glücklich geworden, weil ich nach Jahren die Trauer überwand und die Söhne mir noch immer ganz nah sind. Ich denke, sie wussten das Loslassen zu schätzen.

    Zurück zu den Filmen. Für mich gibt es keine Schuldzuweisung für die, die gegangen sind, lediglich für die Art und Weise, wie sie es taten. Dafür hat uns die Natur die Sprache geschenkt. Mit den richtigen Worten, mit ausgiebigen Gesprächen hätten die Zurückgewiesenen das Loslassen wohl besser bewältigt. Ob man sie damit hätte retten können, ist fraglich. Ja, und dafür sind in erster Linie Familienmitglieder und gute Freunde da, um in dieser Phase Halt und Trost zu geben.

    Aber da braucht es auch den Mut sich zu öffnen, den Schmerz zuzulassen und zuzugeben. Ich denke, das ist das Problem der Introvertierten, und das waren alle drei gescheiterten Filmhelden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert